Freitagabend…TransITALIA ruft!
Das Motorrad steht auf dem Parkplatz bereit für eine abendliche Fahrt nach Martigny. Der Westen von Italien steht dieses Mal auf dem Roadbook. Vor wenigen Wochen musste ich an dieser Stelle wegen zu viel Schnee abbrechen. Heute ist es sehr warm und der Schnee ist kein Thema. Über den Grimselpass fahren wir durch das Rhonetal nach Martigny runter. Südlich vom Grimselpass treffen wir auf Wind, welcher bis zum Fuss vom Grossen Sankt Bernhard immer stärker wird. Böen treffen uns von der Frontseite wie auch seitlich.
Einmal übernachten ist angesagt umrahmt von grossen Alpenpässen. Am Morgen früh geht es los über den Grossen Sankt Bernhard bei 6 Grad erreichen wir die Passhöhe und genehmigen uns auf der Italienischen Seiten einen richtigen Café mit einem Cornetto. Eine halbe Stunde später geht es talwärts Richtung Kleinem Sankt Bernhard.
Etwas später biegen wir rechts ab um auf der französischen Seite in südlicher Richtung zu fahren. Auf dieser Strecke liegt ein Leckerbissen mit dem Col d’Iseran auf dem Tablett. Wohl jeder Radfahrer und Motorradfahrer kennt diesen Pass. Hier heisst es freundlich lächeln, den auf halber Höhe liegen die Fotografen am Strassenrand und schiessen spektakuläre Aufnahmen von Velofahrer, Motorradfahrer und Sportautos. Man muss sich einzig die Webseite vom Fotografen merken sowie die Uhrzeit der Durchfahrt. Unter www.foxphotos.fr kann man die Koordinaten eingeben und die Fotos online bestellen. Beim Col Mont Cenis wechseln wir wieder auf Italienischen Boden zurück und fahren weitere Pässe unter anderem den Col Sestriere und den Col de Finestre an um im Hotel Cuneo in der gleichnamigen Stadt zu nächtigen. Die Hitze hat uns ganz schön gezeichnet. Todmüde fallen wir nach dem Nachtessen ins Bett aber es ist drückend heiss.
Am Nationalfeiertag der Schweiz führt uns die Strecke zu drei meiner Lieblingspässen auf engstem Raum, den Valcavera, den Morti sowie den Escaschie. Auf dem Col Morti befindet sich ein Denkmal für den italienischen Radsport Nationalhelden der 90er Jahre, Marco Pantani. Die Italiener nennen ihn heute noch „il Pirata“, eine Legende. Gerne erinnere ich mich an die Zeiten wo Marco mit einer unglaublichen Drehzahl seine Gegner am Berg an den Anschlag gebracht hat. Alle Grossen Rennfahrer hat er in den Bergen bezwungen. Leider ist viel zu früh von dieser Welt gegangen. In Italien ist er heute noch ein Held. Über den Ort Elva, der uns sehr gut gefällt erreichen wir den Col du Sampeyer. In Elva findet ein Treffen von Akkordeonisten statt, selbst der Hund und die Katze lauschen den angenehmen Tönen aus den Instrumenten. Nun geht es Richtung Tagesziel Turin Richtung Tal.
Bei der Abfahrt treffen wir auf ein frischgeborenes Kälbchen mitten auf der Strasse. Die Nabelschnur ist noch sichtbar. Doch von der Mutter fehlt jede Spur, sie scheint es ausgestossen zu haben. Mit vereinten Kräften heben wir das Tier an den Hufen an und tragen es auf die Weide zurück. Das arme Ding ist völlig verängstigt und kann nicht selber aufstehen. Nach ein paar Versuchen im abfallenden Hang ist es wieder hilflos auf der Strasse. Das kann es nicht sein. Wir versuchen Fahrzeuge aufzuhalten die bergabwärts fahren, doch keiner reagiert auf unsere Zeichen. Das Kälbchen scheint die Leute wenig zu interessieren. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Einige müssen um uns herum im Schritttempo eine Kurve fahren, jeder gafft doch keiner will helfen. Es ist zum verzweifeln. Ich versuche dem armen Tier etwas Wasser aus der Trinkflasche zu verabreichen, was mir aber nicht gelingen will. Erst als Beate, die Tierliebhaberin, das ganze an die Hand nimmt, ist die Flasche schnell leer genuckelt. Wer weiss wie lange es schon in der Sonne aushalten musste. Welch ein beschissener Start ins Leben. Die geglückte Rettung feiern wir am Abend mit einem veganen Vitello Tonnato.
Endlich ein Bauer reagiert auf unsere Handzeichen, obwohl er nicht der Besitzer ist. Er lädt das Kalb kurzerhand in seinen Kofferraum und sucht nach dem Besitzer. Er fährt auf den Hof wo wir es auch schon versucht haben. Wir hoffen sehr dass das Tier endlich zu seiner lebenswichtigen Milch gekommen ist. Mir will die Szene nicht mehr aus dem Kopf. Wie können Menschen so sein und hilfesuchende Tiere mitten auf der Strasse einfach übergehen? Erschreckend!
Mit etwas Verspätung treffen wir in Turin ein und checken im ältesten Hotel der Stadt ein. Im „Vecchio Dogana“ soll sogar Mozart komponiert und genächtigt haben. Das Hotel gehört zu den 10 antiksten Hotels der Welt. Die Säle und Korridore vom Hotel sowie das Inventar lassen uns in längst vergangenen Zeiten abtauchen. Mit wenig Fantasie kann man die Zeit ein gutes Stück zurückdrehen. Turin ist riesig und man kann zu Fuss nur einige wenige Plätze besuchen doch es gefällt uns gut hier.
Am Morgen geht die Fahrt weiter zu einem weiteren Highlight der Tour, den Colle del Nivolet auf 2’612 m.ü.M. Die atemberaubende Sicht auf die übereinander angelegten Stauseen ist wohl einzigartig. Er gehört zu den Toppässen aus meinem Repertoire. Doch ein kurzes Gewitter mit Graupel über dem Pass lässt uns schnell die Regenkleidung montieren und runter ins Tal fahren. Doch nun will die Batterie den 1250er Boxer nicht mehr anwerfen. Die Strasse ist genau in diesem Moment flach und ich kann das Motorrad nicht anrollen. Glücklicherweise habe ich mein Powerpack mit Starthilfeset an Bord. Ist die Batterie einmal gefunden ist es ein kleiner Aufwand das Wundergerät anzuschliessen und wie gewohnt den Motor zu starten. Schön wie der Boxer wieder schnurrt. Ich bin froh, kann die Fahrt weitergehen.
Über drei kurvenreiche Pässe im Aostatal erreichen wir die Stadt Aosta und geniessen die wunderschöne Altstadt, denn schon Morgen geht es wieder zurück in die Schweiz.